Maria Stockhaus

Sozial. Ökologisch. Gerecht.

Darmstädter Klimaschutzplan: unambitioniert und planlos
29. September 2022

Redebeitrag

Sehr geehrter Stadtverordnetenvorsteher,

werte Stadtverordnete,

Darmstadt kann 2018 0,69% des Gesamtenergiebedarfs mit erneuerbaren Energien decken. Das Umweltbundesamt spricht für 2019 von einem Anteil von 19,7% erneuerbarer Energien am deutschen Endenergieverbrauch. Das ist fast 30-mal höher als in Darmstadt.

Darmstadt befindet sich also offensichtlich nicht auf der Überholpur; wenn Sie diese „klimaschädliche“ Metapher verzeihen. Die Frage ist nur, warum sind wir nicht auf der Überholspur, nach doch nicht unbedeutender Zeit mit einer Stadtregierung unter Beteiligung von Bündnis 90? Der Umweltschutzpartei…

Bei meiner letzten Rede, in der ich auf den globalen Zusammenhang hingewiesen habe, wurde mir schmerzlich bewusst, wie wenig von den Zusammenhängen und Ursachen der Klimakrise bekannt ist. Mein Blick ging im Frühjahr auf die in Südasien anhaltende Hitzewelle zwischen März und Mai; dem heißesten Herbst Indiens seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1901. Folgen waren Ernteausfälle und Stromabschaltungen aufgrund des massiven Verbrauchsanstiegs durch die Verwendung von Klimaanalagen.

Und auch jetzt sei nochmal gesagt, in Indien gibt es bereits einen Temperaturanstieg von 1,3 °C durch die globale Erwärmung. Und diese globale Erwärmung hat der globale Norden direkt auf eigenem Territorium oder indirekt durch Auslagerung von Produktionsprozessen auch in den Globalen Süden verursacht.

Ich wurde damals in der Presse daraufhin gewiesen, dass mir nicht klar wäre, wie viel CO2 Indien emittiert. Doch, dass weiß ich sehr wohl. Es ist nur ein Viertel des Deutschen Pro-Kopf-Ausstoßes. Wir tragen folglich als Teil des globalen Nordens eine besondere historische Verantwortung; auch dafür nun Teil der Lösung und nicht mehr Teil des Problems zu sein.

Was brauchen wir dafür?

Einen ambitionierten Klimaschutzplan! Ein ambitionierter Klimaschutzplan hier vor Ort könnte dieser Verantwortung Rechnung tragen.

Was würde einen Klimaschutzplan zu einem ambitioniertem Klimaschutzplan machen?

  1. Ein ambitioniertes Ziel
  2. Eine vollständige und transparente Auflistung der Treibhausgasemissionen
  3. Maßnahmen, die der Größe des Problems angemessen sind
  4. Realistische Umsetzungs- und Transformationspfade
  5. Ein Monitorring

Frage 1: Haben wir ein ambitioniertes Ziel?

Vielleicht? Ist es der Bedrohung durch die Klimakrise angemessen? Nein! Das Ziel lautet Treibhausgasneutralität. Ziel ist somit die rein bilanzielle Null der Emissionen ohne Berücksichtigung weiterer durch den Menschen verursachter Effekte.

Angeführt werden kann hier zum Beispiel der Oberflächenalbedo. Als Albedo wird die Fähigkeit der Erde bezeichnet, Sonnenenergie in den Weltraum zu reflektieren. Die Polkappen können das, so lange vorhanden, sehr gut; genau wie unversiegelter Boden

Klimaneutralität würde diese Effekte auf das Klima einbeziehen. Dieses Ziel zu wählen, würde für Darmstadt aber auch bedeuten, sich mit dem eigenen Wachstum und der zunehmenden Flächenversiegelung auseinanderzusetzen; siehe Planstraße und Bebauung Bürgerpark. Vielleicht ist das ein Grund, warum dieses Ziel nicht gewählt wurde.

Frage 2: Haben wir eine vollständige Auflistung der Treibhausgase?

Wohl kaum. Und das leider aus mehr als einem Grund.

Die BISKO-Bilanzierung betrachtet nur energiebezogene Emissionen; Emissionen aus Landwirtschaft, Abfall und Abwasser sowie industriellen Prozessen werden nicht berücksichtigt. Die BISKO-Bilanzierung basiert auf dem Territorialprinzip. So fehlen aber wesentliche Emissionen, die durch unseren Konsum außerhalb Darmstadts verursacht werden, was das Erreichen des Ziels der Treibhausgasneutralität natürlich erheblich vereinfacht.

In 2018 sind 14,29 % zusätzliche Emissionen anzuführen. Pro Person entspricht das dann 1,3 Tonnen CO2. Da diese Thematik nicht mit Maßnahmen hinterlegt ist, erfolgt auch keine Reduktion bis 2035. Damit erhöht sich der Wert auf 2,3 Tonnen CO2 pro Person.

Das Prinzip der BISKO-Bilanzierung hat aber auch was Gutes. Es priorisiert die Reduktion des Energiebedarfs über die Kompensation. Es sollen einheitliche Emissionsfaktoren verwendet werden, damit der Endenergieverbrauch im Mittelpunkt steht. Das stellt eine Vergleichbarkeit der Daten sicher. Das wurde aber in den vorliegenden Unterlagen anders gehandhabt. Kurz gesagt, Ökostrom ist entsprechend mit dem Bundesenergiemix zu bewerten, anders als vorliegend getan. Was bei 700.000 MWh einen Hub von 40.000 Tonnen auf 340.000 Tonnen bedeutet. Pro Kopf sind das dann weitere 2 Tonnen in 2035.

Und dann wäre da noch das allseits beliebt Ökogas. Ergebnis von Greenwashing der Entega durch Zertifikate für u.a. die Brazil Nut Conzession. Ökogas ist Erdgas mit einer grünen Schleife Sollte der Wald, wie in Brasilien leider nicht mehr so unüblich, einfach abbrennen, dann sind alle jemals darin gebundenen Emissionen mit einem Puff wieder in der Atmosphäre. Und auch diese Kompensation führt zu einem Anstieg der Pro-Kopf-Emissionen um 1,3 Tonnen CO2.

Rechnen wir das zusammen:

Der Magistrat sagt, dass nur mehr eine Tonne CO2 pro Person überig bleiben

Ich sage, es sind 5,3 Tonnen Ein mächtiger CO2-Fußabdruck, den wir da haben

Frage 3: Sind die Maßnahmen der Krise angemessen?

Nein, denn diese 5,3 Tonnen pro Kopf zeigen deutlich, dass der Endenergiebedarf nicht hinreichend reduziert wurde. Und wenn ich allein die beiden Kompensationen für Ökogas und Ökostrom aus dem Jahr 2030 herausrechne, dann ergibt sich mit einer verbleibenden Reduktion von nicht mal mehr 60% gegenüber 1990 nicht mal mehr ein pariskonformer Reduktionspfad.

Frage 4: Haben wir realistische Transformationspfade?

Nein, denn es werden Technologiesprünge angenommen, die mehr dem Deus-Ex-Machina einer zweitklassigen SciFi-Serie entsprechen als einem Konzept, dass sich mit der existenziellen Krise der Menschheit beschäftigt. Es wird unter anderem dekarbonisierte Fernwärme geben.

Wie? Keine Ahnung!

Es wird bis 2035 auch eine magische Umstellung auf 80% Ökostrom geben; nicht dass das gemäß BISKO überhaupt eine Maßnahme wäre

Und zuletzt Frage 5: Ja, und Nein Monitorring der angekündigten Maßnahmen und damit der Zielerreichung gibt es auch noch nicht.

Immerhin ist dessen Entwicklung als eine Maßnahme im Konzept hinterlegt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass

  1. Das Ziel ambitionierter sein könnte und sein muss
  2. Es werden nicht alle Treibhausgasemissionen transparent dargestellt; es wurden 4,3 Tonnen CO2 pro Person durch das Fälschen von Statistiken verheimlicht
  3. Die Maßnahmen führen uns nicht auf einen pariskonformen Reduktionspfad
  4. Die Transformationspfade sind nicht realistisch und in Teilen überbewertet
  5. Es gibt auch noch kein Monitorring

Dabei sagt bereits das Klimaschutzkonzept selbst, was notwendig wäre:

„Noch ambitioniertere Szenarien würden in vielen Bereichen eine sofortige Transformation sämtlicher Gesellschaftsbereiche, Konsummuster und Wirtschaftsmodelle sowie einen sofortigen Umbau sämtlicher städtischer Infrastruktur beinhalten.“

Und genau das ist es. Kein bisschen weniger ist der Klimakrise angemessen. Die Herausforderungen der gesellschaftlichen Transformation werden nur größer, je länger mensch deren Umsetzung herauszögert.

Was wir jetzt brauchen, sind ehrliche Zahlen und pariskonforme Maßnahmen:

  • Ende des Wachstums der Stadt
  • Überregionale Verteilung von Arbeitsplätzen anstelle einer Konzentration auf Darmstadt
  • Ende der Flächenversiegelung
  • Echte Verkehrswende statt Antriebswende

Wir brauchen schlicht Taten statt neue hübsch verpackte Worte mit netten Grafiken.

Bei diesem Klimaschutzkonzept haben wir leider noch nicht über Betroffenheit oder soziale Aspekte gesprochen. Diesen Punkt darf der Magistrat bei der Umsetzung aber auf keinen Fall vernachlässigen. Wenn Gebäude saniert werden, dann muss sichergestellt werden, dass die ursprünglichen Mieter*innen sich ihre Wohnung danach auch noch leisten können. Energetische Sanierung muss dort prioritär umgesetzt werden, wo diese Kosten Mieter*innen besonders belasten.

ÖPNV-Anbindungen und Mobilitätsstationen müssen auch als Mittel der sozialen Teilhabe verstanden werden. Dies ist bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen.

Es bleibt viel zu tun.

Und da die Ambitionen des Magistrats mit Fridays for Future und Co überhaupt erst erkennbar wurden, bleibt eines klar:

Klimagerechtigkeit muss noch immer auf der Straße erkämpft werden.

Um eines hier hervorzuheben, die Arbeit von Julia Vogelsang und Patrick Voos sowie ihrer Kolleg*innen stehen für mich hier nicht zur Debatte.

Ihre Arbeit ist gut und von intrinsischer Motivation gekennzeichnet.

Der Fisch hat hier ein anderes Problem.


Ergänzende Unterlagen:

Magistratsvorlage 2022/0219: Klimaschutzplan 2035 der Wissenschaftsstadt Darmstadt

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