Maria Stockhaus

Sozial. Ökologisch. Gerecht.

Verlängerung der Videoüberwachung oder “Wie sich die Stadt in die Tasche lügt”
03. September 2023
Das Bild zeigt Videokameras am Luisenplatz an einem Pfahl. Auf dem Straßenschild darunter steht "Luisenplatz". Im Hintergrund ist das Grün eines Baumes sowie die graue Fassade eines Hauses zu sehen.

In der Sitzung vom 23.08.2023 hat der Magistrat der Stadt Darmstadt die Verlängerung der Videoüberwachung am Luisenplatz beschlossen. Eingeführt wurde die Videoüberwachung Mitte 2021 auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 18.06.2019.

Überall wo Videoüberwachung eingeführt werden soll, wird diese kontrovers diskutiert. Ich selbst lehne Videoüberwachung aus den folgenden Gründen ab:

  1. Videoüberwachung bekämpft Symptome und keine Ursachen: Die hier versuchte Reduktion der Kriminalität begibt sich nicht an die Ursachen der selben. Kriminalität entsteht nicht aus dem Nichts. Die einzige Möglichkeit Kriminalität wirksam zu bekämpfen ist eine gute Sozialpolitik. So werden Drogendelikte aufgrund von Abhängigkeit passieren. Diese wird nicht durch das Aufhängen von Kameras beendet.
  2. Videoüberwachung führt nur zu einer Verlagerung von Kriminalität: Wenn im öffentlichen Raum Videokameras aufgehängt werden, dann kann es durchaus passieren, dass an diesem Ort (hier der Luisenplatz) weniger Straftaten festgestellt werden. Dies hat aber häufig zur Ursache, dass es eine Verlagerung in nicht videoüberwachte Räume gegeben hat.
  3. Videoüberwachung verhindert Kriminalität nicht, sie macht sie maximal verfolgbar: Straftaten können durch eine Kamera nicht verhindert werden. Sie können durch eine Kamera nur aufgezeichnet werden. Ein Diebstahl hat dennoch stattgefunden. Eine sexuelle Belästigung kann zwar auf Band aufgezeichnet werden, aber die betroffene Person wird dennoch traumatisiert. Das kann eine Videoaufnahme nicht verhindern.
  4. Videoüberwachung nimmt alle aufgezeichneten Menschen unter Generalverdacht: Alle Menschen, die sich im Aufnahmebereich der Kameras befinden werden zunächst einmal aufgezeichnet. Ohne ihre Zustimmung befinden sich ihre Aufnahmen auf “Band”. Dies ist zum einen ein erheblicher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und zum anderen kann es auch bei den sogenannten “unbescholtenen Bürger*innen” zu einer Verhaltensänderung führen.

Die Videoüberwachung wurde nun verlängert mit der Begründung, dass der Luisenplatz zum einen weiterhin ein Kriminalitätshotspot sei und zum anderen, dass die Videoüberwachung geholfen habe.

Dafür legt die Stadt Zahlen vor, die zum einen die Wirkung und zum anderen die weitere Notwendigkeit der Videoüberwachung belegen sollen. In den folgenden Tabelle habe ich zum einen die Daten aus dem Jahr 2019 (Jahr der Beschlussfassung zur Einführung) als auch die Daten aus der aktuellen Beschlussvorlage eingefügt.

JahrLuisenplatzMartkplatzPlatz d. dt.
Einheit
Summe
20141525143246
20151334233208
20161423235209
20171432737207
20201531640209
20212122249283
20221232776226
Tabelle 1: Gesamtzahl der Delikte nach Orten
JahrRohheits-
delikte
DiebstahlDrogenSachbe-
schädigung
Sexual-
delikte
Summe
201444413740126
201545482240119
201639492313115
201744362770114
202051366042153
2021644210024212
202255491432123
Tabelle 2: Delikte Luisenplatz nach Art des Deliktes

Zu diesen Zahlen habe ich Fragen. Diese Fragen habe ich in einer Kleinen Anfrage zusammengetragen und dem Magistrat der Stadt Darmstadt gestellt. Mit diesen Zahlen hoffe ich die aktuelle Situation besser bewerten und auch die Unwirksamkeit der Videoüberwachung besser darlegen zu können. Bisher lässt sich jedoch zu meinen obigen Punkten folgendes aufführen:

  1. Videoüberwachung als Symptombekämpfung: In 2022 liegen auf den genannten 3 Plätzen in Summe weiterhin mehr Straftaten vor als dies noch in 2019 (mit Blick auf 2017) der Fall war (siehe Tabelle 1). So stieg die Zahl der Delikte von 207 im Jahr 2017 auf 226 in 2022 an.
  2. Videoüberwachung und Verlagerungseffekte: In 2022 kann auf dem Luisenplatz zum einen keine Verringerung der Deliktzahlen festgestellt werden, dafür aber ein erhebliche Anstieg auf dem Platz der deutschen Einheit (am Hauptbahnhof); von 37 im Jahr 2017 auf 76 im Jahr 2022.
  3. Videoüberwachung und Aufklärung von Straftaten: Die bisher vorgelegten Informationen enthalten keine Aussagen über die Aufklärung von Straftaten.

Ich werde über weitere Entwicklungen informieren.

Auch medial wurde das Thema inzwischen mehrfach in der Presse aufgegriffen, daher hier mal eine Liste an Links für euch:

Darmstädter Echo 31.08.2023 “Videoüberwachung am Luisenplatz geht in die Verlängerung”

Darmstädter Echo 31.08.2023 Kommentar “Kommentar zum Luisenplatz: Fast schon besessen!”

FAZ – 01.09.2023 “Die Kameras auf dem Luisenplatz sollen bleiben”

FAZ – 01.09.2023 Kommentar “Die Stadt braucht bessere Argumente”

FR – 08.09.2023 Kritik an Fortsetzung von Videoüberwachung auf Luisenplatz

Die Datenschützer Rhein-Main: Darmstadt: Grüne, CDU und Volt wollen Videoüberwachung auf dem Luisenplatz auf Dauer

Die Datenschützer Rhein-Main: Darmstadt: „Keine falsche Sicherheit durch Überwachung“ – Kundgebung am 28. September gegen die polizeiliche Videoüberwachung des Luisenplatzes